Vom Rohstoff bis zur Auslieferung lückenlose Nachvollziehbarkeit
Das Feld der Einsatzmöglichkeiten von Blockchains ist riesig und noch längst nicht vollständig beackert: Alles, was sich in Unternehmen mit Hilfe von Seriennummern oder Tags zuordnen und damit problemlos identifizieren lässt, taugt prinzipiell auch als Kettenglied einer Blockchain. Ein Datensatz der Bitcoin-Blockchain besteht in der Regel aus Sender, Empfänger und Betrag plus Metadaten wie zum Beispiel dem Zeitpunkt. Nehmen wir zur Veranschaulichung das eingangs erwähnte Molkereiprodukt Butter. Mit Hilfe der Blockchain-Technologie ließen sich die Stadien des Herstellungsprozesses von der Ursprungsquelle des Rohstoffs bis zur Auslieferung des fertigen Produkts lückenfrei dokumentieren: Zu Beginn ist die Kuh der Sender, Empfänger ist der Landwirt und Betrag ist die Milch. Im nächsten Verarbeitungsschritt wäre der Landwirt der Sender und die Molkerei der Empfänger der Milch. Danach würde die Molkerei zum Sender werden, der Lastwagen zum Empfänger und die pasteurisierte Milch zum Betrag. So ließe sich genau verfolgen, wo sich die Milch gerade befindet beziehungsweise zu einem bestimmten Zeitpunkt befunden hat. Sämtliche Milch-Transaktionen würden in einem Block zusammengefasst und an die vorhandene Kette von Blöcken angehängt werden – fertig ist die neue Butter-Blockchain. Für industrielle Anwendungen lässt sich das Aufbauprinzip entsprechend anpassen.
Jeder Datensatz enthält dabei neben den Nutzdaten auch kryptografische Daten, die die Integrität des Blocks gewährleisten. Jeder neu hinzugefügte Datensatz enthält einen Wert (Hash), der kryptografisch errechnet wird und sich aus den Daten des vorangegangenen Kettenglieds ableitet. Dieser Hash fließt später bei der Berechnung des nachfolgenden Kettengliedes ein und verhindert dadurch Manipulationsversuche: Denn jede nachträgliche Änderung eines Blocks in der Datensatzkette würde auch eine Änderung des Hashs nach sich ziehen – und da sich dieser in jedem Folgeblock widerspiegelt, müssten sämtliche nachfolgenden Blocks ebenfalls entsprechend geändert werden, was nur mit Zustimmung aller Nutzer möglich wäre.
Blockchain-as-a-Service-Angebote nehmen zu und bieten viele Vorteile
Das Butterbeispiel kommt nicht von ungefähr: IBM setzt mit Food Trust®, einem Netzwerk von Erzeugern, Lieferanten, Herstellern und Einzelhändlern zur Rückverfolgung von Lebensmitteln, seit Jahren auf die Blockchain-Technologie. Alle Beteiligten, darunter Nestlé, Walmart und Carrefour, sind dort durch die genehmigungsbasierte, dauerhafte und gemeinsame Aufzeichnung von Daten aus dem Nahrungsmittelsystem miteinander verbunden. Ihr Ziel: Lebensmittelsicherheit und Frische verbessern, Effizienzen in der Lieferkette erschließen, Markenvertrauen beim Konsumenten steigern und Verschwendung minimieren. Die cloudbasierte Blockchain-Lösung bietet ihnen flexible Möglichkeiten, Lebensmitteldaten zu teilen und daraus neue Funktionen zu entwickeln. Hier arbeiten sogar Mitbewerber zusammen, um voneinander zu profitieren. Auch SAP setzt auf Blockchain-as-a-Service-Angebote und hat auf seiner Cloud Platform Blockchain zahlreiche Unternehmen aus verschiedenen Industriezweigen und Branchen vereint, um die transparente Nachverfolgung von Lieferketten und nachweisbare Authentizität von Produkten voranzutreiben.
In den blockchainbasierten Netzwerken können alle Teilnehmer dabei benutzerdefinierte Zugriffsebenen festlegen. Sogenannte Trust-Anchors, Netzwerk-Teilnehmer mit Führungsfunktion, verantworten die Aufrechterhaltung der Integrität des gemeinsam genutzten Ledgers. Sie verfügen über eine Kopie des verschlüsselten Ledgers im entsprechenden Knoten, haben aber keinen Zugriff auf entschlüsselte Daten. Dennoch können sie Einblick in die Hashwerte der Blockchain nehmen, Ereignisse oder Zugriffsprotokolle von übergebenden Nutzern des Netzwerks hinsichtlich ihrer Echtheit prüfen. Je nach Anwendungsbereich lassen sich dank der hinterlegten Transaktionsdaten in einer Blockchain nicht nur Produkte bis zu ihrer Herkunft und ihren Erzeugern zurückverfolgen, sondern auch Vermögenswerte überprüfen oder Schwachstellen in verzweigten Lieferketten aufdecken. Das lässt erahnen, wie vielseitig die Einsatzmöglichkeiten der noch jungen Technologie in der Wirtschaft sind.
Blockchain steckt beim Mittelstand noch in den Kinderschuhen
Als Querschnittstechnologie können Blockchains die Wertschöpfungskette disruptiv verändern, weil Intermediäre in einem Multistakeholder-System zur Verifikation von Daten überflüssig werden. Ihr Einsatz kann auch für Prozesse und Produkte des Mittelstands von großem Nutzen sein. Kleine und mittelständische Unternehmen können sich für Transaktionen durch Blockchains vernetzen, teilweise automatisiert und flexibler produzieren. Automatisierte Austauch- und Abrechnungsprozesse sowie das Blockchain-basierte Verfolgen von Lieferketten und Produktionsdaten verringern zudem den Verwaltungsaufwand und reduzieren Kosten.
Doch noch gibt es nur wenige Mittelständler, die die Blockchain-Technologie einsetzen. Das mag auch daran liegen, das vielen noch nicht klar ist, wo und wie genau sie von dezentral organisierten Datensatzketten fürs eigene Unternehmen profitieren können. Bislang geben auch nur wenige Standards auf diesem Feld Orientierung.
Unternehmen, die sozusagen als Blockchain-Pioniere des Mittelstands bereits erfolgreich die neue Technologie anwenden, sind u. a. die AXA Versicherung mit ihrer automatisierten Flugkostenerstattung FIZZY, das Zertifikatsmanagementsystem der CERTIVATION GmbH oder die Deutsche Bahn AG mit der Blockchain-basierten Verrechnung interner Leistungen im DB-Konzern. Die Blockchain-Abteilung bei der Bahn arbeitet derzeit an 20 verschiedenen Anwendungsfällen – vom verkehrsträgerübergreifenden Ticketing über Logistiklieferketten bis hin zum Bahnbetrieb.